Zur Lebensgeschichte von Walter Frick

Familie Frick um 1919 vor ihrem Haus in Zweibrücken. Quelle aller Bilder: Gilfert/Frick.
Familie Frick um 1919 vor ihrem Haus in Zweibrücken. Quelle aller Bilder: Gilfert/Frick.

Walter Frick wurde am 23. Oktober 1908 in Zweibrücken als Sohn des Volksschullehrers Hugo Frick und seiner Frau Emma Karlina Frick (geb. Schumacher) geboren. Das Paar hatte außerdem eine Tochter, Hedwig (*1907).

Von 1915 bis 1919 besuchte Walter die Volkshauptschule Zweibrücken, um schließlich 1919 an die Oberrealschule zu wechseln. Dort erwarb er 1928 die Hochschulreife.

Noch im selben Jahr folgte Walter seiner Schwester nach München, um dort an der Staatlichen Akademie der Tonkunst Klavier und Komposition sowie an der Universität München Musikwissenschaft zu studieren. Hedwig selbst ließ sich an der Kunstakademie zur Lehrerin für Zeichnen und Kurzschrift ausbilden. 

Schon bald lernte Walter in München seinesgleichen kennen, nämlich den aus Ingolstadt stammenden Klavierstudenten (und späteren Dirigenten) Hans Löwlein - und die ebenfalls aus der Pfalz stammende Gesangsstudentin Luise Frölich. 

Das Hochzeitspaar Walter und Luise Frick am 6. August 1936.
Das Hochzeitspaar Walter und Luise Frick am 6. August 1936.

Im Jahr 1933 beendete Walter sein Studium in München mit großem Erfolg. Sein Professor  und Mentor, der Dirigent Hugo Röhr, beschrieb ihn in seinem Empfehlungsschreiben als „außerordentlich intelligenten jungen Musiker“, der zudem „in rein menschlicher Sache ein außerordentlich anständiger Charakter“ sei.

 Seit 1929 schon waren Walter und Luise ein Paar, aber als Walter 1933 dann ausgerechnet im fernen Rostock sein erstes Engagement bekam, mussten die beiden ein Jahr der räumlichen Trennung überstehen. 1934 schloss auch Luise ihr Studium erfolgreich ab und konnte Walter dank der Empfehlung ihres Gesangslehrers Paul Bender nach Rostock folgen. Dort wurde sie als jugendlich-dramatische Sängerin ins Ensemble des Opernhauses aufgenommen.

Die darauffolgenden Jahre waren für Walter und Luise beruflich wie privat von Glück und Erfolg geprägt. Zu Ostern 1935 verlobten die beiden sich, im August 1936 schließlich feierten sie Hochzeit im pfälzischen Pirmasens, wo Luises Bruder, der Pfarrer Heinrich Frölich, sie traute. Im Sommer 1937 schließlich brachte Luise in Rostock das erste Kind, Gutrune, zur Welt. 

Walter und Luise mit Tochter Gutrune im Jahr 1939.
Walter und Luise mit Tochter Gutrune im Jahr 1939.

Was genau dazu führte, dass Walter und Luise einen Strich unter das Kapitel Rostock zogen, ist bis heute nicht vollständig geklärt. In einem von Hedwig verfassten Lebenslauf ihres Bruders steht, dass das Opernhaus Walters weiteren Aufstieg verhindert habe, da er "nur passives Mitglied der NSDAP" gewesen sei.

Aus einem Brief von Walter geht in der Tat hervor, dass er den Posten des Generalmusikdirektors, auf den er gesetzt hatte, nicht bekam. Stattdessen ging dieser an einen regimetreueren "Kollegen", seinen ehemaligen Kommilitonen Heinz Schubert. 

Walter versuchte, andernorts Fuß zu fassen und bewarb sich bei zahlreichen Opernhäusern im gesamten Reichsgebiet, doch nach Kriegsbeginn wurde die Lage immer aussichtsloser. Nachdem er von überall nur Absagen bekam, Luise aber wieder schwanger war und sie somit dringend Geld brauchten, musste eine andere Lösung her. 

Schweren Herzens entschloss Walter sich im Sommer 1940, nach Berlin zu gehen, um dort an der Hochschule für Musikerziehung und Kirchenmusik binnen eines Jahres, so der Plan, eine „Umschulung“ zum Musiklehrer zu machen. Luise würde mit Gutrune so lange zu ihrem Bruder Heinrich und dessen Familie nach Pirmasens ziehen. 

Zur Geburt von Achim im November 1940 erreichte Luise dieses Telegramm.
Zur Geburt von Achim im November 1940 erreichte Luise dieses Telegramm.

Als im November 1940 Sohn Achim zur Welt kam, erreichte Luise ein Telegramm mit den rührenden Worten „Glückstrahlend küsst der Ferne die Tapfre“ - eines von zwei erhaltenen Schreiben, die Berlin in Richtung Pfalz verließen.

Im Februar 1941 erhielt Walter den Bescheid, dass er in Kürze mit seinem Einzug in die Wehrmacht zu rechnen habe - eine Aussicht, die ihm große Angst machte.

Also hängte er all seine Hoffnungen an ein Engagement am Theater in Metz, wo er angeblich für eine Dirigentenstelle vorgemerkt war. Als ihn aber am 9. März 1941 auch von dort eine Absage erreichte, erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Der 9. März 1941, so hat es seine Schwester Hedwig später in ihr Tagebuch notiert, war auch für sie „der traurigste Tag seit langer Zeit“. Denn "an diesem Tag wurde Walter in die Nervenklinik eingeliefert".

Was sie nicht schreibt, aber Jahrzehnte später ihrem Neffen Achim erzählen wird: derjenige, der Walter gewaltsam in die "Nervenklinik", in das Waldsanatorium in Bernau bei Berlin, hatte bringen lassen, war ihr eigener Ehemann - der SS-Führer Armin Beilhack. 

 

Hedwig und Armin (hier noch in der Uniform der Reichswehr) um 1932. Es ist das einzige Foto von Armin Beilhack aus privaten Fotoalben.
Hedwig und Armin (hier noch in der Uniform der Reichswehr) um 1932. Es ist das einzige Foto von Armin Beilhack aus privaten Fotoalben.

Für ihn war Walter nicht nur das genaue Gegenbild zum nationalsozialistischen deutschen Mann, der "hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder" zu sein hatte. Er war ihm außerdem im Weg. Es ist davon auszugehen, dass die häufigen Besuche seines nervlich angegriffenen Schwagers Armin ein Dorn im Auge waren. Denn der war in erster Linie darauf aus, weiter Karriere zu machen, zu jenem Zeitpunkt stand er kurz vor seiner Beförderung zum Sturmbannführer der SS.

Die nationalsozialistische Ideologie propagierte ja nicht nur die Ermordung von Juden, politischen Gegnern, Angehörigen der Sinti und Roma, Homosexuellen oder Menschen mit einer Behinderung. Auch eine psychische Erkrankung oder schlicht eine überdurchschnittliche Sensibilität, eine stärkere seelische Verwundbarkeit konnten ausreichen, um die gezielte Tötung der betreffenden Person zu begründen - getarnt mit dem Euphemismus der „Euthanasie“. 

Walter, der nicht nur unter der Trennung von Frau und Kindern und unter den Belastungen des Krieges litt, sondern nun auch noch mit dem drohenden Militärdienst konfrontiert wurde - ihn würde man heute wahrscheinlich als hochsensibel bezeichnen. Möglicherweise litt er tatsächlich an Depressionen oder depressiven Verstimmungen. Armin Beilhack, der sowieso schon Täter war, machte ihn zum Opfer.

Die letzte Fotografie von Walter zeigt ihn zusammen mit seiner Schwester und deren Kind im Herbst 1940.
Die letzte Fotografie von Walter zeigt ihn zusammen mit seiner Schwester und deren Kind im Herbst 1940.

 

„Leider habe ich eine sehr große Pause gemacht. Dazwischen liegt so schrecklich Schweres. Der Tod meines einzigen Bruders Walter kurz vor seinem 33. Geburtstag. Er starb am 7. 8. nach 5 Monaten schweren Leidens. Ich selbst bin daran fast krank geworden und habe viel Mühe gehabt, mich wieder einigermaßen zu erholen, aber ich muß es ja meiner Familie und meines Kindes wegen.“

 

(aus dem Tagebuch von Hedwig Beilhack, Oktober 1941)

 

 

 

 

Wie Hedwig reagierte, was in ihr vorging, ob sie ihrem Bruder helfen wollte und nicht konnte, oder ob sie das, was ihr Mann vor ihren Augen tat, am Ende sogar gutgeheißen hat – all das sind und bleiben offene Fragen. Sicher ist, dass auch Hedwig unter dem Verlust ihres Bruders (und evtl. auch unter ihrer Mitschuld an seinem Tod) gelitten hat. Vermutlich ihr Leben lang.

Die Ruine des ehem. Waldsanatoriums in Bernau bei Berlin ist mittlerweile längst abgerissen und hat einer Neubausiedlung Platz gemacht (das Foto ist aus dem Jahr 2016).
Die Ruine des ehem. Waldsanatoriums in Bernau bei Berlin ist mittlerweile längst abgerissen und hat einer Neubausiedlung Platz gemacht (das Foto ist aus dem Jahr 2016).

Walter Frick ist laut Sterbeurkunde des Standesamtes Bernau bei Berlin am 7. August 1941 an "trauriger Verstimmung", "Depression" und "Erschöpfung" gestorben. Ausgefüllt wurde diese Urkunde auf mündliche Aussage von Armin Beilhack. Walters Tod fällt genau in den Monat, in dem die organisierte und zentralisierte „Aktion T4“ von Hitler persönlich gestoppt wurde.

Walter Frick ist also aller Wahrscheinlichkeit nach ein Opfer der sogenannten „wilden Euthanasie“, bei der die Patientinnen und Patienten mit Medikamentenüberdosen oder durch Vernachlässigung und Nahrungsentzug ermordet wurden. 

Meine Großmutter Luise und ich im Jahr 1992.
Meine Großmutter Luise und ich im Jahr 1992.

Ein Jahr nach Walters Tod wurde Armin Beilhack an die russische Front versetzt, an der er 1943 fiel. Hedwig und ihre Tochter kamen nach der Evakuierung Oranienburgs schließlich wieder nach Zweibrücken, wo sie zusammen mit ihrer Mutter Emma lebten (Vater Hugo war bereits 1929 an den Folgen einer Erkrankung gestorben). Walter wurde fortan beschwiegen. Nicht nur die Umstände seines Todes, also der Mord an ihm - sondern seine ganze Existenz. Und zwar von Hedwig und Luise gleichermaßen. 

 

Luise selbst lebte auch nach Kriegsende weiterhin mit ihren beiden Kindern (meiner Tante Gutrune und meinem Vater Achim) bei ihrem Bruder und dessen Familie im Pfarrhaus von Pirmasens. Sie erhielt durch die Hilfe eines Cousins eine Stelle als Musiklehrerin an der dortigen Mädchenoberschule, wo sie bis zu ihrer Pensionierung mit Hingabe Opern mit ihren Schülerinnen einstudierte. 

 

Anfang 2012 bekam die Stadt Zweibrücken ihren ersten Stolperstein.
Anfang 2012 bekam die Stadt Zweibrücken ihren ersten Stolperstein.

Ich, Walters und Luises Enkelin, bin 1990 geboren. Luise starb 1994, Hedwig 1999. Ich hätte ihn also kennenlernen können. Ich hätte einen Großvater, einen Opa haben können. Ein Gedanke, der mich bis heute nicht loslässt. Denn mein Großvater wurde nur 32 Jahre alt. Seine tragische Geschichte war in Schweigen gehüllt, bis ich, das jüngste seiner insgesamt fünf Enkelkinder, etwa 70 Jahre nach seinem Tod plötzlich von ihm träumte - und schließlich zu recherchieren begann. 

In Gedenken an Walter Frick wurde im Februar 2012 in Zweibrücken vor dem Haus, in dem er aufgewachsen ist und das den Krieg unversehrt überstanden hat, ein Stolperstein verlegt. Der Stein erinnert an den Mord an meinem Großvater, aber auch an sein Leben. Ein Leben, das es wert gewesen wäre, gelebt zu werden. Eben ein lebenswertes Leben.