>1941HADAMAR2016< (Teil 1)

Tagebuch eines außergewöhnlichen Praktikums

Mit der NS-Euthanasie beschäftige ich mich mittlerweile seit fast sechs Jahren – mit 25 ist das prozentual gesehen ein nicht unbeachtlicher Teil des bisherigen Lebens. Ausgesucht habe ich es mir nicht, es „hat sich mich ausgesucht“, und manchmal weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Denn,  wäre mein Großvater nicht im Jahr 1941 ein Opfer der Krankenmorde geworden, würde ich mich heute ziemlich sicher anderen Themen widmen.

Ein Praktikum in der Gedenkstätte einer ehemaligen Tötungsanstalt? Das hätte ich mir noch vor wenigen Jahren selbst nicht geglaubt. Ich, die ich kaum Filme anschauen kann, weil mich nahezu alles mehr berührt, als es sollte; ich, deren Mutter früher die Märchen, die sie vorlas, abändern musste, damit sie nicht so traurig waren („Es war einmal ein Kind, dem waren Vater und Mutter gestorben... aber Großeltern hatte es.“).

 

Vom produktiven Umgang mit einem sinnlosen Tod

Ja, ausgerechnet ich habe das angenommen, was man mit dem leicht überstrapazierten Begriff „Vermächtnis“ bezeichnet. Ich glaube, dass es meine Aufgabe ist, mich in die vielschichtige, durchdachte und einfühlsame Gedenkkultur unserer Zeit einzubringen. Den Tod meines Großvaters kann ich damit nicht rückgängig machen, ich kann ihm – auch, wenn viele so denken – auch  beim besten Willen keinen Sinn verleihen. Aber ich kann mich dem produktiv zuwenden, was sein Tod bis heute mit mir und meiner Familie macht – und ihm selbst ein Stück seiner Würde zurückgeben.

 

Um der Arbeit an der Biografie meines Großvaters ein noch stärkeres Fundament zu geben, hatte ich mich Mitte letzten Jahres dazu entschlossen, bei einer der Gedenkstätten der damaligen Tötungsanstalten nach der Möglichkeit eines Praktikums zu fragen. Dass es ausgerechnet Hadamar wurde, war vermutlich eine simple „Gefühlssache“, da es von meiner pfälzischen Heimat aus gedacht die nächstgelegene Gedenkstätte dieser Art ist.

 

Am 28. Februar schließlich war es so weit. Da ich bereits in einem Museum und mehrfach im Medienbereich hospitiert habe, war die Praktikumssituation an sich keine neue. Doch thematisch hatte und hat die Sache diesmal einen vollkommen anderen Gehalt, nehme ich diesen Ort doch nicht nur als Studentin der Volkskunde und angehende Autorin, sondern vor allem als Enkelin eines Opfers wahr.

1941 HADAMAR 2016. Foto: Julia Frick 2016.
1941 HADAMAR 2016. Foto: Julia Frick 2016.

Was wird Hadamar mit mir machen?

Die Frage, die mich zu Beginn besonders beschäftigte, war demnach auch eine – im nicht wertenden Sinne – egozentrische: Was wird dieser Ort mit mir machen?

Da ich bereits zum Vorgespräch im Dezember einmal dort war, stellte mein erster Praktikumstag nicht die erste Konfrontation dar. Dies half mir dabei, den Räumlichkeiten und vor allem natürlich den dort Arbeitenden offen und mit einer positiven Grundhaltung zu begegnen. Doch ich möchte betonen, dass eine offene und positive Grundhaltung gegenüber einer ehemaligen Gaskammer in der Tat ein Ding der Unmöglichkeit ist. Nach meiner ersten Führungshospitation, die mich natürlich auch in den Keller der Anstalt führte, kam es mir beinahe wie Hohn vor, einfach so den Alltag wieder aufzunehmen und mit den neuen Kollegen über dies und jenes zu plaudern.

 

Die Schwelle zwischen gestern und heute

Doch das, so lernte ich schnell, ist nicht nur alltäglich, es ist notwendig. Mit dem Gang hinunter in den Keller wird buchstäblich eine Schwelle übertreten (und in etwa 20 Schritten 75 Jahre zurückzulegen ist nicht einfach) – doch genauso muss man die Eindrücke von „unten“ auch hinter sich lassen, wenn man wieder „oben“ ist. Das Ziel der GedenkstättenpädagogInnen ist weder die Konfrontation mit den eigenen Gefühlen noch das bewusste Schocken der BesucherInnen. Und wie in jedem anderen Beruf, so lernt man wohl auch hier mit der Zeit, sich emotional von den Inhalten, die man vermittelt, zu distanzieren. Auch als Enkelin.

 

Ich bin sicher, dass mich auch die kommenden drei Wochen bewegen werden – aber sie werden mich nicht mehr überwältigen. Das, was ich hier mitnehme, beruflich wie privat, ist mehr als Wissen und mehr als Erfahren, es ist mehr als „so läuft das in einer Gedenkstätte“ und mehr als „jetzt weiß ich, ob ich da später arbeiten will“. Was ich aus Hadamar mitnehmen werde, ist eine innere Haltung. Und auch, wenn ich gerne noch einen runden Schlusssatz geschrieben hätte, kann ich dieser Erkenntnis aus momentaner Sicht nichts mehr hinzufügen.

Kommentare: 0 (Diskussion geschlossen)
    Es sind noch keine Einträge vorhanden.